WG68 – Briefentwurf an Alma Mahler
Neubabelsberg, Donnerstag, 8. September 1910
Wenn ich mir jetzt Dein trau-
riges Wesen vergegenwärtige,
so muß ich glauben, daß Du
mich für gekränkt und des-
halb für so starr gehalten
hast und ich glaubte doch
nur Dich schonen u bewahren
zu müssen.
Nur um nicht zusammen-
zubrechen bin ich schlecht gewesen \hielt ich mich gewaltsam hart/ ob
Du das verstanden hast?
Schwebe ich auch so vor Dir, daß
ich Deine Handlungen bestimme
Der Idee zuleben, die Meine
zu werden. Ist die unstillbare Sehnsucht ge-
blieben?
noch immer weich und liebend,
keinerlei Hemmungen
Man ist als liebender ja so zaghaft
Denn uns gieng das Auge auf,
daß wir des Himmels uner-
gründliche Tiefe maßen
Uns kann nichts geschehen?
Bin ich noch Dein Jüngling Dein
Mann für den Du leben und
sterben wolltest?
Ich will leben u arbeiten
u schaffen für Dich hoffend u
hoffend auf den Tag, wo
arbeitest Du, kommt es
wieder zum Klingen?
Ich habe mit mir gerungen
in heißen Kämpfen u alle
Bitterkeit ist hoffentlich über-
wunden.
Als Du wie ein Engel
vor mir erschienst, den ich
nicht anzutasten wagte
Mein Genius
Ich glaubte wirklich zu
Deinem Glücke alles auf-
geben zu müssen
Ich weiß mit Zuversicht, daß
Du diese ganzen schweren Kämpfe
in mir, die nicht unedel waren,
recht verstanden hast.
Hilf mir bei meiner Arbeit
durch Kritik, ich traue Deinem
Instinkte blindlings.
Deine Engelhafte Schönheit
wie Du am letzten Tage vor mir
standest – ach!
Wir haben so schweres ertra-
gen, daß mir Amerika leicht da-
gegen wird
Apparat
Überlieferung
, , , .
Quellenbeschreibung
2 Bl. (2 b. S.) – Notizblock.
Druck
Erstveröffentlichung.
Korrespondenzstellen
Antwort auf AM31 vom 5. September 1910 (Du schwebst gleich einer Lichtgestalt vor mir – schönster Jüngling[,] und bestimmst meine Handlungen. […] Ich weiß, dass ich nur der Idee zulebe, die Deine zu werden!): Schwebe ich auch so vor Dir, daß ich Deine Handlungen bestimme[.] Der Idee zuleben, die Meine zu werden. […] Bin ich noch Dein Jüngling […]?
Datierung
Anhand der Korrespondenzstelle zu AM31 vom 5. September 1910 lässt sich dieser Entwurf, wie auch WG67 und WG69, auf den 8. September 1910 datieren, da WG am Morgen dieses Tages AM31 erhielt (s. WG69).
Übertragung/Mitarbeit
(Marie Apitz)
(Bettina Schuster)
Denn uns gieng […] Tiefe maßen – vgl. , S. 203, , VII. „“: „Wem das Auge aufging, | Daß er des Himmels | Unergründliche Tiefe maß“.
Uns kann nichts geschehen? – bezieht sich auf AM17 vom 11. August 1910: Arbeiten wir Beide an uns – kommen wir weiter – füllen wir unser Leben aus – lieben wir uns standhaft und treu[,] so kann uns nichts geschehen. Siehe auch AM7 vom 24. Juli 1910: uns kann nichts geschehen!!!
am letzten Tage – Abschied in Tobelbad bzw. Graz am 16. Juli 1910, s. WG3 vom 16. Juli 1910.